Schriftliches Museum über deutschen Basketball

09.Dezember 2024

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Stoffrollen statt Tape, vorgeheizte Autos und Meisterschaftsfeiern ohne Coaches – Henning Kuhl gewährt in seinem neuen Buch “UNSER SPIEL – Geschichten deutscher Basketball-Legendenˮ tiefe, einzigartige Einblicke in das Leben und Wirken von Holger Geschwindner, Dirk Nowitzki, Henrik Rödl, Dennis Schröder und vielen mehr. Kuhl hat die Anekdoten von München bis North Carolina, von Serbien bis […]

Stoffrollen statt Tape, vorgeheizte Autos und Meisterschaftsfeiern ohne Coaches – Henning Kuhl gewährt in seinem neuen Buch “UNSER SPIEL – Geschichten deutscher Basketball-Legendenˮ tiefe, einzigartige Einblicke in das Leben und Wirken von Holger Geschwindner, Dirk Nowitzki, Henrik Rödl, Dennis Schröder und vielen mehr.

Kuhl hat die Anekdoten von München bis North Carolina, von Serbien bis Salt Lake City in Interviews kapitelweise aufbereitet – eines für jeden Akteur. Als Hommage an den deutschen Basketball, die zum Entdecken, Erinnern und Weitertragen einlädt. Über den EM-Held von 1993, Christian Welp, hat er als Nachruf ein siebenseitiges Gedicht geschrieben. Zwischen den Interviews mit den Legenden blickt Kuhl auf die jeweiligen Epochen und Entwicklungen des (deutschen) Basketballs. Entstanden ist so ein schriftliches Museum über 60 Jahre deutschen Basketball – und ein einzigartiges Werk.

Im Interview gibt der Autor interessante Einblicke in den Entstehungsprozess des Buches und nimmt uns mit in das ein oder andere Gespräch zwischen ihm und den Helden unserer Sportart.

Henning Kuhl (mi.) mit den beiden Weltmeistern Johannes Voigtmann (re.) und Franz Wagner (li.).

Im Vorwort erzählst du von dem Gespräch mit Norbert Thimm als Funke, der deine Idee für dieses Buch entzündet hat. War das wirklich so eine Idee, deren Umsetzung du bei dem Gespräch spontan beschlossen hast?

Die Idee selbst kam mir tatsächlich schon einige Monate früher, aber die Konkretisierung dessen nicht, weil ich mit niemandem darüber gesprochen hatte. Als ich dann mit Norbert sprach und merkte, dass bei ihm eine gewisse Bereitschaft da war, dachte ich mir, ich müsste das wirklich machen. Das Gespräch mit ihm war schon die Initialzündung, wenngleich der Gedanke vorher schon existierte.

Was hat Dich motiviert, das wirklich durchzuziehen?

Ich bin Basketballfan, seit ich denken kann. Ich komme aus Leverkusen, deutscher Rekordmeister, habe viele Legenden selbst erlebt und einfach eine tiefe Verbindung zu diesem Spiel.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich die ALBA Berlin-Chronik gesehen habe – die steht bei mir im Regal – und dachte: „Warum gibt es eigentlich eine ALBA Berlin-Chronik und keine vom deutschen Rekordmeister?“ Ich bin dann zu den Verantwortlichen der Bayer Giants und habe ihnen das vorgeschlagen. Die fanden das an sich auch superspannend und so, aber letztendlich kam es nicht zu einer Realisierung … Dann habe ich mich gefragt: „Warum eigentlich nur für Leverkusen? Warum nicht für Deutschland?“

Ebenfalls ein Gedanke war: Ademola Okulaja und Christian Welp leben leider nicht mehr und das ist unfassbar traurig! Aber wenn man nicht aufpasst, dann werden weitere Persönlichkeiten verschwinden und ihr Wissen, ihre Geschichten und Co mit ihnen; und die nächsten und die nächsten. So ist der Lauf der Zeit, dass wir irgendwann alle einmal gehen werden … So wurde für mich klar: Ich gehe das an.

Wie siehst du die Balance zwischen “Wir müssen das Vermächtnis unserer Helden besser bewahrenˮ und “Wir wollen keinen Personenkultˮ, der – wie manchmal in den USA – ausufert und einzelne Personen auf ein idealisiertes Podest hebt?

Der erste Punkt ist für mich unfassbar wichtig. Du kannst das Spiel nur richtig verstehen, wenn du auch die Historie ein bisschen kennst.

Zweiteres ist für mich insofern cool, wenn du sagst: „Da ist jemand, der etwas für dieses Spiel geleistet hat und der hat etwas dafür bewegt (hat), dass ich heute etwas tun kann.“ Norbert Thimm war der Erste im europäischen Ausland, hat dadurch Wege bereitet, zum Beispiel für Christian Welp, Mike Koch oder Detlef Schrempf. Schrempf, der erste wirkliche NBA-Spieler, hat Wege bereitet für Nowitzki, Schröder, Wagner und Co. Nowitzki hat gezeigt, dass ein Deutscher eine NBA-Franchise zum Titel führen kann. Dennis und Franz sind Weltmeister geworden mit ihrer Generation. Das, finde ich, ist das Entscheidende: Sie sind alle in gewisser Weise Außenminister oder Bundespräsidenten (gewesen). Sie haben uns alle im Ausland repräsentiert. Mir ging es darum, dass diese Wegbereiter in unserer schnelllebigen Welt mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit bekommen, denn nicht alle bekommen sie.

Warum hast Du Dich für dieses Format entschieden?

Sie sollten im Mittelpunkt stehen, ihre Geschichten und ihr Vermächtnis. Sie sollten direkt sprechen. Das war mir ganz wichtig, dass sie den Fokus haben. Wenn ich schreibe, dass Holger Geschwindner und seine Jungs den Blitzerrekord in München auf der Maximilianstraße aufstellen, weil sie sich splitterfasernackt ausziehen und dann so weit laufen, bis die Polizei kommt und sie anhält, fragen sich die Leute vielleicht, ob das wirklich so stimmt. In dem Fall ist es aber so, dass er es selbst erzählt. Wenn Henrik Rödl erzählt, wie sie nach dem Championship-Sieg in North Carolina auf dem Highway mit dem Bus fahren und Leute sehen, die links und rechts anhalten, um auszusteigen und ihnen Beifall zu klatschen … Das kann ich ja so nicht rüberbringen. Das musste von ihnen kommen.

Außerdem war mein Gedanke, mit diesem Buch ein schriftliches Museum zu schaffen, da ich kein eigenes errichten konnte. In einem Museum sprechen die Bilder oder Künstler auch direkt zu den Besuchern …

Wie sind Deine Gesprächspartner Deiner Idee begegnet?

Es gab keinen Einzigen, den ich überreden musste. Keiner meinte, das wäre eine Schnapsidee. Im Gegenteil: Das Feedback auf meine Idee war durchweg positiv. Manche waren auch direkt gespannt auf die Geschichten der anderen.

Was hast Du im Laufe der Gespräche Neues über Basketball in Deutschland gelernt?

Ich habe nochmal ganz klare Einblicke bekommen in die Professionalisierung des Sports. Es ist keine Selbstverständlichkeit, was heute selbstverständlich erscheint. Ich habe auch gemerkt, welche Umstände sich in den jeweiligen Epochen direkt auf den Sport ausgeübt haben. Das war schon spannend. Wie Holger erzählt, dass sie in Israel ein Spiel haben und die Soldaten mit Maschinengewehren drumherum stehen. Du hast Insights bekommen, die du vorher nicht wissen konntest, wenn du nicht dabei gewesen bist. Alle haben so tiefe Einblicke gegeben, dass ich in jedem Gespräch etwas Neues gelernt habe.

Beide ebenfalls Teil von Kuhls Buch: Die Basketball-Legenden Detlef Schrempf (li.) und Otto Reintjes (re.).

Sind dir bestimmte Anekdoten als besonders unfassbar in Erinnerung geblieben?

Die Wahrscheinlichkeit, dass du eine Championship in der NCAA gewinnst, ist ja wirklich gering. Henrik Rödl erzählte mir von der Feier und davon, dass er irgendwann fragte, wo eigentlich der Coach sei. Der Assistant Coach antwortete ihm darauf, dass er gerade einen Spieler rekrutieren würde und deshalb nicht dabei sei. Das ist in gewisser Weise schon erstmal ein unfassbarer Moment.

Ich hatte aber an vielen Stellen einfach Gänsehaut und diese eine Geschichte gibt es nicht. Da sind einfach ganz, ganz viele. Dirk Bauermanns Geschichten sind teils ebenso unfassbar, wie Marco Baldis über den Aufbau ALBA Berlins! Alle Geschichten sind ganz besonders.

Es ist sehr interessant, wie ähnlich die Denkweisen von Spielern unterschiedlicher Epochen zu gewissen Themen sind. Welche Beobachtung zu Parallelen unter den Spielern hast du festgestellt?

Sie alle haben irgendwie gesagt: „Du musst Spaß haben am Spiel, wenn du etwas erreichen willst, und viel investieren.“ Und alle haben in gewisser Weise gesagt, dass Basketball selbst auf dem Feld keinen Raum für Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus lässt, wenngleich es natürlich nicht auszuschließen ist, da es ja ein Thema der Gesellschaft ist.

Viele Fragen wurden mehr oder weniger direkt beantwortet. Aber eine dauerte immer sehr lange: Für ausnahmslos alle war die schwierigste Frage die, die nach den fünf Spielern suchte, mit denen sie die Welt retten würden (lacht).

Worin lagen die größten Unterschiede?

Die Unterschiede lagen vor allem darin, wie sie ganzheitlich auf Basketball geblickt haben. Norbert Thimm schaut heute natürlich anders auf Basketball als zu seiner Zeit. Damals schien es unmöglich, in die NBA zu kommen. Holger sagt an einer Stelle: „Die NBA gab es nicht.“ Heutzutage scheint es selbstverständlich, die NBA als Ziel zu haben, weil das realisierbar ist. Natürlich auch die Bedingungen bei den Clubs (lacht). Norbert berichtet davon, wie er seine Sachen selbst waschen musste und sich mit Stoffrollen selbst Tape angelegt hat. Nach ein paar Tagen bei Real Madrid hatte er dann da richtiges Tape liegen. Oder das Reisen: Tibor Pleiss erzählte, wie er in Utah am Flughafen ankam, das Auto bereitstand, der Motor und die Heizung liefen … Das war schon sehr spannend alles.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft des deutschen Basketballs und für den Umgang mit der Vergangenheit?

Ich würde mir schon wünschen, dass es einen bewussteren Bezug geben würde; dass wir die Erfolge mehr feiern. Man könnte zum Beispiel im Rahmen einer BBL-Finalserie Jubiläen feiern. 2005 sind wir Vize-Europameister geworden. Ich fände es cool, wenn 2025 im Rahmen der BBL-Finals die Jungs von damals geehrt werden würden. Da gibt es zahlreiche weitere Beispiele. Wir brauchen einfach ein bisschen mehr Wertschätzung in Deutschland für all die Wegbereiter des deutschen Basketballs, damit wir unsere Geschichte mehr leben und feiern können.

“UNSER SPIEL – Geschichten deutscher Basketball-Legendenˮ von Henning Kuhl erschien im EULOGIA Verlag und ist überall erhältlich, wo es Bücher gibt.

Bild 1: Kuhl mit DBB-Kapitän und Weltmeister Dennis Schröder, Bild 2: Collin Welp mit Mutter, Bild 3: Franz Wagner und Johannes Voigtmann nehmen „UNSER SPIEL“ unter die Lupe